Ein Text, sagt Ruja, ist eine Stadt                                              

 

Ein Text, sagt Ruja, ist eine Stadt - eine Stadt, die nur dafür erbaut ist, den Wind einzufangen, eine Stadt, deren Häuser dazu errichtet, deren Straßenzüge dazu angelegt wurden, den Klang des Windes zu formen. Die Häuser mit ihren Dächern, Schornsteinen, Erkern und Balkonen, mit ihren Gartentoren und Wasserhähnen im Hinterhof, ihren Schaukeln und Klettergerüsten im Garten, die Straßen mit ihren Ampeln, Verkehrsschildern und Straßenlaternen, die Staffeln, die von einer Straße zur anderen führen, mit ihren Stufenkanten, mit ihren Eisengeländern und den Ornamenten, mit denen diese versehen sind – über all dies streicht der Wind, weht durch Gerüste, Zäune, Balustraden und Treppengeländer hindurch und erhält so in dieser Stadt genau diesen Klang, der verwoben ist mit dem Klang deiner Schritte, wenn du durch diese Stadt hastest, durch diese Straßen schlenderst, jetzt dort 
um diese Ecke biegst.
Es gibt eine Stadt, in der Straßen dafür angelegt werden, Häuser genau dafür gruppiert werden, dass du zwischen zwei Häusern eben noch etwas verschwinden siehst, ein Stück von einem Mantel, das Rücklicht eines Rollers, Häuser, die genau so zueinander stehen, dass du zwischen ihnen eben noch, einen Moment lang, ein paar Schalfransen siehst, Mauern, die genau so viel Abstand zueinander haben, dass du hinter ihnen Gärten erahnen kannst, in denen Rasensprenger langsam einen Bogen schillernden Sprühregens hin und her schwenken, Häuser, hinter denen am Morgen, aufgefangen von Grashalmen, schimmernde Tautropfen zu finden sind, manchmal eine im Gras vergessene Trillerpfeife, Häuser, an denen du vorübergehst, bis du bei einem innehältst, unter deiner Hand die eiserne Klinke des Gartentors fühlst und mit dem ersten Schritt hinein für alle Fragen 
nach Richtung und Ziel auf immer verloren bist.

(aus: UTA JARA: Murmeln für Matteo)

Weitere Auszüge aus "Murmeln für Matteo" finden Sie auf der Website der Autorin unter
www.UTA-JARA.de

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